12. April 2018

Chili Chocolate

Chili Chocolate...oder: Das Leid vor der eigenen Haustür



Dies ist die Geschichte der kleinen Katze ChiliChocolate, die Anfang März in unser Leben trat. Und es ist eine Geschichte, wie sie jeden Tag zigfach vorkommt ... überall - auch direkt vor unserer eigenen Haustür.

Ein Katzenkind in Not

Eine Frau hatte sich in einer Rostocker Hunde-facebook-Gruppe gemeldet, weil eine kleine, offensichtlich kranke Katze seit einigen Wochen unter ihrem Balkon lebte und um Futter bettelte. Sie erkundigte sich, ob sie das Tier in die Tierklinik bringen könnte, wer dann die Kosten übernehmen würde, wie sie sich verhalten sollte, usw. ...

Es kamen Ratschläge, der Fall wurde wie so oft im facebook emotional diskutiert, die Mitleidswelle schwappte hoch ... aber letztendlich geschah nichts. Niemand sah sich die Katze genau an, niemand untersuchte, warum sie "mit einem Bein nicht richtig auftreten konnte", niemand nahm sie ins Haus ("Nicht dass sie mir Krankheiten reinschleppt!"), brachte sie zum Tierarzt ("Das kostet bestimmt eine Menge und wer bezahlt das dann?") oder rief auch nur die Tierrettung an ("Dann kommt sie ja ins Tierheim!"). Sie bekam Futter, immerhin, aber das war's. Keine Wärme, keine Liebe, keine medizinische Versorgung, obwohl sie sich nur schleppend bewegen konnte.

Der Fall ging von einer facebook-Gruppe zur nächsten, Hilfsangebote wurden gemacht und versandeten wieder, viele wollten helfen, am Ende kam jedoch niemand. Und ChiliChocolate litt.

Chili Chocolate Chili Chocolate


Chili Chocolate

Sollen doch die anderen helfen...

Zur Erinnerung: Wir hatten in diesen Tagen nachts MINUS 18 GRAD, tagsüber immerhin noch minus 8 Grad, es war elend kalt und es pfiff ein eisiger Ostwind. Die Katze kauerte bei dem Wetter in einem Mauerspalt, bewegte sich nur, wenn es Futter gab und fror erbärmlich.

Schließlich gab es dann doch noch ein Hilfsangebot, der Threat wurde kurz darauf gelöscht und alle dachten, die Kleine wäre gerettet. Nur um sicher zu gehen, dass sie jetzt wirklich Hilfe bekommen hatte, fragten wir Anfang der darauffolgenden Woche noch einmal nach ... und mussten erfahren, dass letztendlich doch NICHTS geschehen war.
br /> Ihr lest richtig: Hunderte, vielleicht sogar weit mehr Menschen wussten von einer kleinen, kranken Katze, die bei minus 18 Grad in einem Mauerspalt vor sich hin vegetierte. Zig Leute hatten sie seit Wochen in ihrem direkten Umfeld gesehen und bemerkt, dass es ihr schlecht ging. Aber niemanden ging es etwas an!

Wo sind all die Menschen gewesen, die sich selbst als tierlieb bezeichnen? Wo waren die, die sich Tierschutz auf die Fahne schreiben? Warum gab es in dieser riesengroßen Stadt niemanden, der selbstlos genug gewesen wäre, sich des Tierchens anzunehmen? Wieso haben alle, die das kranke Kitten sahen oder von ihm erfahren hatten, weg gesehen, als sie gebraucht wurden?

Wegsehen? Nicht mit uns!


Der Mangel an Einsatzbereitschaft entsetzte uns so sehr, dass wir - obwohl 200 km entfernt - eine Freundin in Rostock anriefen und noch am selben Tag dorthin schickten, um ein persönliches Bild von der Situation zu bekommen. Nach ihrem ersten Bericht stand sofort fest, dass wir etwas unternehmen mussten. Sie besorgte eine Transportbox und Futter, fuhr wieder zu der Katze ... und hatte die geöffnete Box noch kaum auf den Boden gestellt, als die Kleine schon von sich aus hinein huschte, sich wohlig schnurrend in die weiche Decke kuschelte und keine Anstalten machte, ihr neues Wahlheim je wieder zu verlassen. Als hätte sie schon lange auf diesen Augenblick gewartet. Derweil machten wir uns auf den Weg von Hamburg nach Rostock, um sie von dort abzuholen. Damit ihr endlich geholfen werden konnte.
Chili Chocolate

Ein grauenvoller Anblick


Das Bild, das sich uns bot, als wir sie genauer ansahen, machte uns sprachlos:

ChiliChocolate war erst ein gutes halbes Jahr alt, klein, völlig abgemagert und voller Zeckennymphen (wo auch immer sie die in der kalten Jahreszeit aufgelesen hatte). Der Ausspruch, sie hätte "Probleme mit einer Pfote", wie es anfangs hieß, war maßlos untertrieben - denn sie hatte rechts vorn noch nicht einmal mehr ein Bein! Es wurde ihr direkt am Körper abgehackt und nur der zersplitterte Knochenstumpf ragte noch aus dem Fell.

Was für ein Martyrium muss dieses kleine Tierchen durchlebt haben? Wie hat sie diese Verletzung überhaupt überstanden? Wer hat sie ausgesetzt, ob nur gedankenlos oder nachdem er ihr Leiden verantwortet hat? Ist diesem Menschen(?) klar, wie sehr das Katzenkind gelitten hat - mehr als jeder von uns in seinem Leben je leiden wird?

Und warum hat über Wochen niemand den Mut gehabt, zu helfen? EIN EINZIGER MENSCH, der, statt wegzusehen oder ihr Schicksal lediglich auf facebook zu diskutieren, gehandelt hätte, hätte Chocolates Leiden um so vieles früher abstellen können, hätte ihr eisig kalte Nächte in Einsamkeit und Angst ersparen, hätte ihr zu einer medizinischen Versorgung verhelfen können. Ein einziger Mensch, der nicht nur davon redet, tierlieb zu sein...

Unverdientes Vertrauen


Chocolate dankte uns für ihre Rettung mit ununterbrochenem lauten Schnurren und einer riesigen Menschenliebe. Sie saß während der gesamten Rückfahrt schmusend auf dem Schoß und ließ sich die anschließende Erstversorgung ohne Murren gefallen. Anschließend schlief sie - weich und warm gebettet - fast ohne Unterbrechung tagelang wie tot, um sich von dem Erlebten zu erholen. Aber dankbar für jede Hand, die ihr dabei zart über das Fell strich.

Ihren ersten Tierarztbesuch meisterte sie einige Tage später vertrauensvoll. Neben der Untersuchung ihrer Gesamtkonstitution sowie äußerlich des Beinstumpfes, bekam sie Aufbauspritzen gegen ihre Unterernährung und Behandlungen gegen Endo- und Ektoparasiten. Sie war übersät von winzigen Zeckennymphen, voller Würmer und Flöhe und psychisch wie physisch immer noch ziemlich am Ende. Aber sobald sich jemand mit ihr beschäftigte, strahlte sie vor Liebe aus ihren grünen Augen.

In den Tagen danach lag sie wieder wie tot auf ihrer Decke, schlief, fraß und schlief wieder. Und als sie endlich anfing, sich zu bewegen, bestätigte sich schnell, was wir schon vermutet hatten: Sie hatte Schmerzen und jede Bewegung war ihr unangenehm. Meistens bewegte sie sich deshalb gar nicht.

Chili Chocolate

Die Operation


Trotz ihrer Anhänglichkeit Menschen gegenüber, knurrte sie schnell, wenn man sie hoch nahm und dabei in die Nähe des Stumpfes kam. Egal welches Tier sich ihr näherte, es wurde wütend weggefaucht. Selbst die kleinen Katzen, die jünger als sie waren und mit ihr die Quarantänestation teilten, lernten schnell, Chocolate nicht zu nahe zu kommen. Sie nahmen es gelassen ... aber das kleine Dreibeinchen hatte nichts als Angst davor, wieder leiden zu müssen.

Da wir dank eines negativen Ultraschalls bei einer zweiten Untersuchung relativ sicher waren, dass sie nicht trächtig war (die Rolligkeit war gerade über ihren Höhepunkt, als wir sie einfingen), entschieden wir mit den Ärzten der Tierklinik, Chili Chocolate baldmöglichst operieren zu lassen. Am Dienstag, den 27.03. war es dann so weit: Das kleine, tapfere Katzenkind wurde in Narkose gelegt und auf die OP vorbereitet.

Im Röntgenbild zeigte sich dann, was wir von Anfang an vermutet hatte: Der Oberarm-Knochen war nach wenigen Zentimetern abgetrennt und daran anschließend lagen mehrere spitze Knochensplitter frei im Beinstumpf und pikten mit ihren Enden durch die Haut. Was man von außen nicht sehen konnte: Alle Knochenenden waren entzündet, so dass die Kleine Höllenqualen gelitten haben muss.

Während der OP wurden die Knochensplitter entfernt, der Restknochen amputiert, das entzündete Gewebe bereinigt und alles sauber wieder zusammen genäht. Gleichzeitig wurde Chocolate kastriert.

Chili Chocolate Chili Chocolate
Chili Chocolate Chili Chocolate

Kleine Schritte in eine bessere Zukunft


Chili Chocolate Schon am Tag nach der OP fing sie an, sich deutlich besser zu bewegen, als in all der Zeit vorher. Ihre Fauchattacken anderen Lebewesen gegenüber wurden von Tag zu Tag weniger und nach einer Woche kletterte sie freiwillig auf den Arm, sobald sich jemand zum Schmusen anbot. Binnen kurzer Zeit begann sie, sich frei im Haus zu bewegen und mit erstaunlicher Geschicklichkeit auch auf hohe Gegenstände zu springen. Und auch, wenn andere Tiere wohl niemals mehr ihre besten Freunde werden, konnte sie sich bald frei von Angst vor neuen Schmerzen zwischen ihnen bewegen und musste sie nicht mehr mit Gefauche von sich fern halten. Von Tag zu Tag integrierte sie sich ein wenig mehr in das Katze-Hund-Mensch-Rudel ihres Pflegeheims und baute ihre Vorbehalte gegen andere Vierbeiner langsam ab.

Menschen hingegen liebt ChilicChocolate über alles und für eine Schmuseeinheit wird sie sich auch in Zukunft notfalls vierteilen lassen. Binnen weniger Tage begriff sie, wo die strategisch besten Punkte im Haus sind, an denen man einem Zweibeiner "auflauern" und ihn zu einer Kuscheleinheit nötigen kann. Sie lernte Einrichtungen wie das Klo oder das Bett lieben, auf denen ihre Dosenöffner (zwangsläufig) längere Zeit stillhalten, so dass sie sie "erobern" und sich an sie anschmiegen kann. Und sie genießt es, in der Nähe ihrer Menschen zu liegen, falls mal keine streichelnde Hand Zeit für sie hat - Hauptsache dabei sein.

Chili Chocolate Chili Chocolate
Chili Chocolate Chili Chocolate

Chili Chocolate

Ein eigenes Zuhause


Chili Chocolate ist eine entzückende und sehr tapfere kleine Katze, die trotz allem, was sie erlebt hat, die Hoffnung nie aufgibt und Zweibeinern nach wie vor ihre ganze Liebe entgegen bringt. Deshalb hat es uns auch nicht gewundert, dass sie sehr schnell jemanden gefunden hat, bei dem sie in Kürze einziehen darf, wenn ihre Behandlung abgeschlossen ist. Und wo sie den Rest ihres Lebens Katzen-Prinzessin sein wird. Wir lassen sie mit Freuden ziehen, denn sie hätte kein besseres Zuhause finden können.

Chili Chocolate

Für alle, die nicht nur darüber reden, sondern wirklich helfen wollen


Uns bleiben die Erinnerungen an Menschen, die viel reden, ohne zu handeln, an ein außergewöhnliches Katzenkind, an die Dankbarkeit, dass wir ihr helfen konnten, an das Glück über den guten Ausgang ihres erst so traurigen Schicksals.


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