Eine ganz sanfte und liebe Hündin war Nera, eine von denen, die nie unangenehm auffallen. Eigentlich eine von denen,
die sowieso nie auffallen, denn sie hat nie gefordert oder sich irgendwie in den Vordergrund gespielt. Man konnte sie
mit jedem Hund zusammen in ein Gehege stecken, sie blieb immer bescheiden im Hintergrund, während sich die anderen
vorn am Gitter drängelten. Sie nahm dankbar, was sie an Zuwendung bekommen konnte und hielt sich abseits, wenn sie
wusste, dass es nicht um sie ging. Sie war noch nicht einmal krank und musste in ihrem ganzen Leben nie zum Tierarzt.
Wäre sie doch bloß etwas auffälliger gewesen, etwas mehr fordernd, etwas offensiver! Dann wäre
vielleicht mal jemand auf sie aufmerksam geworden.
Ins Canile kam Nera schon als Welpe, zusammen mit ihren Geschwistern. Unter ihnen waren auch die beiden Schwestern
4Occhi (Vierauge) und 1/2Naso (Halbnase). Die weiße 4Occhi verdankte ihrem Namen der Tatsache, dass sie, neben
vielen kleinen schwarzen Punkten im Fell, 2 große schwarze Flecken um beide Augen hat. Sie wurde - auch schon
9½-jährig - nach Deutschland vermittelt und lebt heute als Jolina bei unseren treusten Transportfahrern und
Freunden Gabi und Werner in Bonn. 1/2Naso hatte als Besonderheit eine durch eine alte Verletzung zweigeteilte Nase,
die
dazu in ihren beiden Hälften auch noch verschiedenfarbig wirkte. Sie fand über 'Tiere suchen ein Zuhause'
in Deutschland einen Platz für's Leben und heißt heute Malina. Andere der Geschwister konnten in Italien
eine eigene Familie finden.
Aber Nera hatte nichts, was für sie sprach, nicht einmal ein besonderes Aussehen - sie war einfach nur eine
schwarze Schäfer-Mix-Hündin. Allerdings eine total liebe. Und eine super verträgliche. Und eine schmusige.
Eine, die ihrem Menschen viel Freude gemacht hätte, wenn sie welche hätte finden können.
Die einzigen Highlights in ihrem Leben verdankt Nera der Tatsache, dass sie - eben wegen ihrer Verträglichkeit -
zusammen mit dem nicht ganz einfachen Cemengo das Gehege teilte. Und da Cemengo Paten hat, durfte sie an der Freude
teilhaben, wenn Geschenke für ihn kamen und ausgepackt wurden. Das hat sie sehr genossen und sich immer riesig
über das gefreut, was dabei für sie abfiel. Mehr Besonderheiten gab es in ihrem tristen Leben nicht.
Es sind Schicksale wie das von Nera, die uns so hilflos und unglücklich machen. All diese Hunde, die ihr Leben in
einem Tierheim verschenken und nie die Chance auf Glück oder Liebe oder ein Zuhause bekommen. All diese sanften,
ruhigen, unauffälligen Hunde, die nie fordern und deshalb nie etwas bekommen. Nichts als einen Auftritt im
Internet - wenn sie tot sind.
Nera starb am 29. Mai 2009 mit 14 Jahren, wir fanden sie morgens tot in ihrer Hütte. Sie ging, wie sie gelebt
hat: bescheiden.
Arme Nera, hoffentlich hast du im nächsten Leben mehr Glück - verdient hast du es allemal. Und auch wenn
du im Leben kaum Beachtung gefunden hast: Vergessen werden wir dich nicht, du Liebe!