Als Charlotte sie das erste Mal sah, hatte sie eine tiefe, riesengroße und sehr hässlich aufgebrochene Wunde auf
dem Rücken. Irgend jemand hatte die kleine Hündin gefunden und ins Canile gebracht, Charlotte packte sie sofort
ins Auto und kutschierte die kleine Lady zum Tierarzt. Sie musste operiert werden, um die Wunde zu versorgen - aber wohin
danach? Einen Hund mit einer solch schwerwiegenden Verletzung im Canile zu betreuen ist schwierig. Dazu bescheinigte der
TA der kleinen Hündin auch ein schon deutlich gehobenes Alter - den größten Teil ihres Lebens hätte
sie hinter sich, da war er sich sicher. Bei Lotti zuhause tummelten sich aber schon drei Hunde und ihr Mann war durchaus der
Ansicht, dass das genug seien. Aber der war ja grad nicht da ... und es sollte ja nur für kurz sein ... vorübergehend
also ... Chinchi war ja schon so alt ...
So zog Chinchi bei Charlotte ein - das war vor 12 Jahren.
Die kleine Volpina brachte einen sehr eigenwilligen Charakter mit. Sie wusste genau, was sie wollte und noch besser, was
sie nicht wollte. Wie ein kleines Schnappkrokodil verteidigte sie ihre Einstellung zum Leben. Aber für Charlotte wurde sie
schnell zum 'Rittersport' von der besten und feinsten Sorte: quadratisch, praktisch, gut. Die beiden hatten eine besondere
Bindung aneinander und so kam es wie es kommen musste: Chinchi erkämpfte sich einen dauerhaften Platz in Lottis Haushalt.
Es folgten gute Jahre in Charlottes großem Haus in den Bergen. Aber eines Tages war der Hundetraum dort oben in Freiheit
vorbei. Lotti musste das abgelegene Haus gegen ein enges Stadthaus mitten in einer Fußgängerzone eintauschen und
dort war einfach kein Platz für die Hunde. Also wurde im Canile ein besonders großes Gehege vis à vis des
Büros und mit Zugang von außen frei geräumt, mit einem schönen Holzhäuschen, Liegen und allen
möglichen Bequemlichkeiten für die Hunde ausgestattet und Lottis kleine Rasselbande zog dort ein. Da sie mittlerweile
sowieso von morgens bis abends im Hundeheim war, hatten die Hunde auf diese Weise mehr von ihr, als vorher. Und es wurde ihnen
dort natürlich auch eine besondere Behandlung zuteil. Glücklich machte Charlotte diese Lösung nie, aber so
konnte sie ihre Hunde wenigstens den größten Teil des Tages in ihrer direkten Nähe haben und für sie
sorgen.
Chinchilein und ihre Freundinnen empfanden den Wechsel vermutlich viel weniger störend als Charlotte selbst. Im Canile
war immer jemand da, der sich um sie kümmerte, es gab stets was zu gucken und das Leben war spannend und abwechslungsreich,
weil alles bei ihnen vorbei musste. Tagsüber liefen sie die ganze Zeit im großen Freilauf zwischen anderen Hunden
und den Pflegern. Und Lotti kam immer wieder vorbei, um ihnen über den Kopf zu streicheln oder ihnen eine Kleinigkeit
zuzuschieben. So vergingen die nächsten Jahre und die Hunde kamen in ein Alter, in dem sie Abschied nehmen.
Nur Chinchimaus hielt durch. Wie alt sie letztendlich genau wurde, werden wir nie erfahren, aber Methusalem war vermutlich ein
Jungspund gegen sie. Zwei ihrer Freundinnen starben, Chinchis Augen wurden schlechter und schlechter, ihre Zähne verdienten
nicht mehr, so genannt zu werden. Nur an ihrem griffigen 'Charakteratschio' änderte sich nichts. Und auch nichts an der
Zuneigung, die Lotti und Chinchi füreinander empfanden.
Die letzte Zeit verbrachte sie im Büro, immer in der Nähe ihres Frauchens, im Warmen und Trockenen, in Geborgenheit.
Am Freitag, den 17 Januar war der Punkt gekommen, an dem die kleine, eigenwillige Persönlichkeit Charlotte klar machte,
dass sie nicht mehr wollte. Ihre Zeit war gekommen und schweren Herzens ließ Lotti sie über die Regenbogenbrücke
gehen.
In Lottis Erinnerung aber wird sie ewig weiterleben - als ihre beste und feinste Ritter-Sport: quadratisch, praktisch und
rundherum einfach gut.