Flender gehört zu den Hunden, die man nur bewundern kann. Nicht, weil er irgendwelche hervorragenden Leistungen vollbracht
hätte - oder vielleicht ist gerade dies eine. Nein, wir bewundern ihn, weil er trotz eines lebenslangen Martyriums einen
so unglaublich guten und liebenswerten Charakter bewahrt hat, wie es einem Menschen unter denselben Bedingungen nie möglich
wäre.
Der arme Kerl wurde im Welpenalter von seinen Besitzern in einer der italienischen Hundehöllen abgegeben und hat dort sein
gesamtes Leben verbracht. Wer solch eine Institution einmal von innen gesehen hat, weiß, was das für die Tiere
bedeutet: Futter gerade so viel, dass die Tiere nicht verhungern, aber permanent um die wenigen Brocken kämpfen müssen.
Unglaublicher Dreck, Unrat und Ungeziefer. Keine Schlafplätze, kein Freilauf, keine medizinische Versorgung. Aber Personal,
das die Hunde lieber tritt, als sie zu streicheln. Kein Schutz vor der Witterung, keine Rückzugsmöglichkeiten.
Dafür unerträglicher Stress und Aggressionen unter den Hunden, die zu schweren Beißereien führen. Ein Leben in
permanenter, nie enden wollender Angst.
Flender hat diese Hölle überlebt und kam im unser Tierheim, nachdem die italienischen Behörden die Hunde
konfisziert hatten, weil die Bedingungen selbst für ihre Verhältnisse unerträglich waren. Und er brachte einen
Charakter mit, der seines gleichen sucht. Der relativ klein gebliebene Rüde ist ausgesprochen liebenswert und sanftmütig
Menschen gegenüber, sehr verschmust, völlig problemlos im Umgang und - trotz seiner Vergangenheit - eigentlich ohne
Verhaltensprobleme. Ein wenig schüchtern ist er anfangs, manchmal wirkt er dadurch fast nervös oder unbeholfen. Aber das
ist nur Unsicherheit ungewohnten Situationen gegenüber und wird in einem eigenen Zuhause bald verschwunden sein. Er hat halt
noch nichts gesehen im Leben außer die Gitterstäbe seiner Gehege und das kleine blaue Viereck vom Himmel, das
darüber zu
sehen ist. Aber er ist so liebenswürdig anspruchslos und so sehr darauf bedach, seinen Menschen zu gefallen, dass es kein
Problem sein wird, ihm mehr Ruhe und Sicherheit zu vermitteln und ihm zu zeigen, wie schön das Leben sein kann.
Denn in Sachen Lebensfreude hat Flender viel nachzuholen, auch wenn die letzten 2 Jahre für ihn bei weitem besser gelaufen sind
als sein Lebensstart. Er darf mittlerweile mit Gassigängern spazieren gehen und tut dies mit völliger Begeisterung. An
der Leine zeigt er keinen erkennbaren Jagdtrieb (was aber keine Gewähr dafür ist, wie er sich benimmt, wenn er frei
laufen kann

Er gehorcht dabei sehr gut, ist
überhaupt sehr bemüht, alles richtig zu machen und Dinge zu lernen, die er noch kann. An der Leine verliert er auch
sofort seine Nervosität, wird innerlich ruhig und seine Unsicherheit ist dann völlig verschwunden.
Mit anderen Hunden versteht Flender sich in jeder Lebenslage. Er geht Streit aus dem Weg und ist zu Hunden, die er mag, genauso
liebenswert sanft wie zu Menschen. Dabei ist er aber durchaus keine Schlaftablette, sondern läuft gern und wird auch am
Spielen irgendwann wieder seine Freude haben, wenn er unbelasteter leben kann. Er gehört zu den angenehm gemäßigten
Settern, die man einfach liebhaben und in ihrer Sensibilität beschützen muss.
Bisher wissen wir bei Flender von keiner ernsthafteren Erkrankung. Eine liebenswerte Besonderheit hat er allerdings: Er schielt auf
dem linken Auge - das geht ganz entzückend seiner eigenen Wege

. Die Tierärztin des Tierheims
sieht keinen Handlungsbedarf deswegen, aber es sollte in Deutschland einem Facharzt vorgestellt werden.
Wenn man Flender selbst fragen würde, würde er in seiner Bescheidenheit gar nicht versuchen, ein besseres Leben für
sich einfordern. Aber wir finden, dass er umso mehr verdient hat, Menschen zu finden, die seinen Charakter zu schätzen wissen
und ihn auf Händen tragen. Menschen, die ihm endlich all das zeigen, was ein Hund in seinem Leben gesehen haben sollte. Die ihm
ein weiches Bett in einer warmen Umgebung zum Schlafen und eine Sofaecke zum Kuscheln zur Verfügung stellen. Die mit ihm die
weitesten Spaziergänge und die aufregendsten Entdeckungstouren unternehmen. Die ihn so lange streicheln, bis sein Fell davon
glänzt. Halt Menschen, die ihm so viel Liebe schenken, wie er selbst zu vergeben hat. Und das ist eine Menge!
Auch Flender hatte endlich einmal richtig Glück in seinem Leben und darf nun in Bochum mit seiner ersten eigenen Familie
dauerkuscheln.
Vermittelt im Dezember 2011