Verlassen, vergessen, verzweifelt
Im Tierschutz hört man oft von den 'vergessenen' Tieren. Wenn diese Bezeichnung auf einen Hund zutrifft, dann auf Tilly:
Als Welpe war sie von einer italienischen Familie angeschafft worden und vermutlich fanden sie damals alle zuckersüß
und wunderschön - denn das ist sie auch mit ihrer besonderen, schwarz-weiß-grauen Fellfärbung. Aber Welpen
werden groß und machen Arbeit, das wurde wohl auch Tillys Familie irgendwann unangenehm bewusst. Also machten sie
mit der jungen Hündin das, was man in Italien mit Hunden macht, wenn man sie loswerden will, aber noch einen winzigen
Funken Anstand im Leib hat: Sie brachten sie in ein 'Tierheim' - nur vorübergehend, versteht sich. Und sie erzählten
den Pflegern, sie würden die Hündin nach ihrem Urlaub wieder abholen ..... es muss ein langer Urlaub sein, denn sie
haben sich bis heute nicht wieder blicken lassen. Und das ist mittlerweile 12 Jahre her.
Vielleicht hätte man ihnen diese Verhalten gerade noch verzeihen können, wenn sie Tilly nicht in einem 'Tierheim'
abgegeben hätten, das diesen Namen mit nichts verdient hat. Denn Tilly landete in einer der berüchtigten
italienischen Hundehöllen und wurde dort als junger Hund lebendig begraben. Ein One-Way-Ticket in einen schleichenden
Tod, bei dem keine Rückkehr gebucht war.
Die folgenden Jahre von Tilly wollen wir nicht in aller Ausführlichkeit beschreiben - sie müssen furchtbar gewesen
sein. Die Hunde wurden in der Hundehölle teils in winzige, völlig überfüllten und verdreckten Gehegen
ohne Hütten oder Dächer über dem Kopf gehalten, teils an nur meterlangen Ketten ohne jeden Schutz vor der Witterung
auf dem blanken Boden festgezurrt. Sie lebten dort in ihrem eigenen Kot - denn sauber gemacht wurde nicht - mussten sich das
Futter zwischen den Exkrementen suchen - wenn sie überhaupt welches vorgeworfen bekamen - leckten das Regenwasser vom Boden
auf - welcher Hund braucht schließlich Wasser zur freien Verfügung? Sie wurden getreten und geschlagen und je nachdem
mißachtet oder gequält. Streicheleinheiten, liebe Worte, Mitgefühl oder Anteilnahme gab es dort nicht. All
das braucht ein Hund schließlich nicht, um zu überleben und seinem 'Schutzbefohlenen' dadurch Geld einzubringen.
Tilly überlebte diese Jahre, indem sie sich klein und unauffällig machte, denn nur ein Hund, der nicht unangenehm
auffiel, entging den Repressalien des Personals, das die Hunde lediglich als lästige Ursache für eine schlecht
bezahlte Arbeit ansah. Wie verzweifelt muss ein Tier sein, das in solch einer Situation lebt, ohne jede Hoffnung ... Tilly
hatte vermutlich lange schon aufgegeben, sich nach Liebe und streichelnden Händen zu sehnen, als ihr Leben eine Wende
nahm, die nicht mehr vorgesehen war: Die Hundehölle wurde konfisziert und die Hunde wurden befreit.
Seit Anfang 2010 lebt Tilly nun in einem Canile, das diesen Namen auch verdient. Mit Pflegern, die ihre Tiere lieben und sich
um sie kümmern. In einer sauberen Umgebung mit ausreichend Platz, Schutz, Futter und Wasser. Und endlich mit ausreichend
Zuwendung. Aber Tilly hat - im Gegensatz zu vielen ihrer vorherigen Leidensgenossen - auch diesmal nicht aufgepasst, als das
Schicksal Pluspunkte für das Leben verteilt hat. Bei der Überführung der Hunde aus diesem Verließ in das
neue Canile wurden die Hunde Gemeinden zugewiesen, die für ihe finanzielle Versorgung zuständig sein sollten. Die
Tiere, die keinerlei Chance auf Vermittlung mehr hatten, wollte aber keine der Gemeinden übernehmen. Tilly gehörte
natürlich zu diesen Pechvögeln. Im Klartext bedeutet das, dass sie von den 'bezahlten' Hunden zwar im Moment
miternährt wird, aber kein Pfennig da sein wird, sollte sie einmal krank werden und medizinische Versorgung benötigen.
Was aber wird dann aus ihr?
Trotz ihrer Jahre ist Tilly bis heute kerngesund und fröhlich. Aber alle, die diese liebenswert sanfte und immer
unauffällige Hündin kennen, wären unglaublich erleichtert, wenn sie ein Zuhause fände, bevor sie eines
Tages Hilfe nötig haben wird. Denn dann kann sie in Italien von keiner Seite her auf Unterstützung rechnen.
Tilly ist etwas schüchtern Menschen gegenüber, aber im Grunde ihrer Seele eine unglaubliche Schmusebacke. Sie
versteht sich mit allen anderen Hunden in ihrem Umfeld, bleibt immer im Hintergrund und ist nie aufdringlich. Sie hätte es
so sehr verdient, irgendwo ein Plätzchen zu finden, in dem sie Liebe, Fürsorge und die Sicherheit bekommt, gewollt
zu sein - Dinge, die für andere Hunde das Selbstverständlichste der Welt sind. Für Tilly der Traum ihres
Lebens. Gibt es nicht irgendwo jemanden, der ihn erfüllen möchte?
Auch Tilly hat in diesem September ihr Bündel im Canile geschnürt und hat sich auf die Reise nach Deutschland gemacht.
Ihr Ziel war Detmold. Dort kann das Leben für die nette Hündin jetzt erst richtig beginnen!
Vermittelt im September 2011