Sie war noch jung, als sie in das private 'Tierheim' kam, das diese Bezeichnung einfach nicht verdiente. Ob sie damals schon
dreibeinig war oder ob das Bein im Laufe der nächsten zwei Jahre verloren ging, die sie in der hundefeindlichen Institution
verbringen musste und aus welchem Grund das geschah, ist nicht überliefert. In den Büchern des 'Tierheims' gab es keinerlei
Aufzeichnungen darüber. Wir wissen allerdings, dass sie dort komplett sich selbst überlassen und trotz ihrer Behinderung
einem gnadenlosen Überlebenskampf ausgeliefert war, der unter den gestressten und immer hungrigen Hunden herrschte. Das Sterben
war und ist dort an der Tagesordnung - allerdings nicht aus Altergründen.
Als Chiquita im Sommer 2011 nach den zwei dunkelsten Jahren ihres Lebens zu uns verlegt wurde, war sie in einem katastrophalen
Zustand. Verhungert, verwahrlost, verängstigt bis ins Mark und misstrauisch gegen alles, was zwei oder vier Beine hatte, war sie
eine personifizierte Mischung aus Abwehr und Flucht. Sobald sie nicht mehr weiter wusste, schnappte sie panisch um sich, ohne wirklich
verletzen zu wollen - sie wollte nur alles von sich weghalten.
Cassandra, zu der sie in den Zwinger kam, zeigte ihr, dass das Leben von nun an gar nicht sooo schlecht ist und gab ihr genug Sicherheit
und
Seelenruhe, damit die kleine Hündin bald ihre größte Abwehr aufgeben konnte. Sie fing an, vorsichtig Vertrauen zu
den Pflegern zu fassen und erduldete es - anfangs erstarrt, später mit sichtlich mehr Behagen - angefasst und leise gestreichelt
zu werden. Sie fing an, Leckerlies vorsichtig aus der Hand der Zweibeiner abzuholen und das Schnappen gehörte der Vergangenheit
an. Sogar medizinische Untersuchungen, die mit viel Geduld und Ruhe ausgeführt wurden, ließ sie schließlich ohne
Maulkorb über sich ergehen.
Als Cassandra vermittelt wurde, zog sich Chiquita wieder ein wenig mehr in sich zurück. Es fehlte ihr sichtlich die breite
Schulter, an die sie sich in den Monaten davor hatte anlehnen können. Aber ganz so misstrauisch wie anfangs ist sie nicht wieder
geworden. Und seit sie mit zwei neuen Hunden vergesellschaftet wurde, taut sie ganz langsam wieder auf. Ihre Angst vor Hunden hat sie
weitgehend verloren, auch wenn sie nicht unbedingt freudig sondern bis heute eher verhalten auf fremde Artgenossen zugeht.
Chiquita lässt sich bis heute nicht auf den Arm nehmen oder auch nur anleinen - dann befällt sie Panik und sie wehrt
sich vehement. Sie braucht Menschen mit viel Verständnis für ihre geschundene Seele, haufenweise Einfühlungsvermögen
und Liebe sowie ausreichend Erfahrung im Umgang mit derart verängstigten, behinderten Hunden. Selbst ein sehr gutes Tierheim wird
ihr nie eine Chance lassen, wieder zu einem annähernd normalen Lebewesen zu werden, dazu ist der Stress zu groß, unter dem
die Tiere dort stehen. Aber wir sind sicher, dass sie in einer ruhigen, liebevolle Umgebung noch sehr viel ihrer schrecklichen
Vergangenheit abstreifen wird und endlich das werden kann, was sie eigentlich ist: eine liebebedürftige, schutzsuchende, kleine
Seele, die es verdient hat, endlich auch auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen.
Ostern 2012 - Neues von Chiquita
Chiquita ist in ihrer Pflegestelle im Nürnberger Raum eingetroffen und hat sich binnen kürzester Zeit viel besser
eingelebt, als in all der Zeit vorher im Canile. Schon nach wenigen Tagen lässt sie sich vorsichtig anfassen, spielt
mit den anderen Hunden und vor allem: Sie lacht!
Wir werden weiter von ihr berichten, wenn sie ein wenig länger dort ist und sich an ihr neues Leben gewöhnt hat.
20. April 2012
In der Pflegestelle angekommen
Seit Kurzem ist Chiquita auf einer Pflegestelle in Süddeutschland und sie entwickelt sich dort von Tag zu Tag besser.
Sie hat sich schnell an das Leben im Haus gewöhnt und kommt bestens mit allen Hunden aus. Mittlerweile freut sie sich
wie eine kleine Schneekönigin über jede Zuwendung, die sie von ihrer Pflegemama bekommen kann und baut täglich
mehr Ängste ihres alten Lebens ab. Demnächst wird ihr "Frauchen auf Zeit" mehr von ihr berichten. Aber
die ist guter Dinge, dass sich Chiquita - abgesehen von ihrem fehlenden Bein - mit viel Liebe, Geduld und der richtigen Zuwendung
zu einem ganz normalen, fröhlichen Hund entwickeln wird.
24. April 2012
Erster Bericht von der Pflegestelle: Ein ganz erstaunliche Verwandlung
Chica hat sich toll entwickelt. Sie war - fast von Anfang an - zu 100% stubenrein und in der Hinsicht völlig problemlos.
Wenn sie 'außer der Reihe' mal raus muss, meldet sie sich. Meine Frage "musst Du raus?" kann sie auch schon
beantworten. Dann geht der kleine Hintern wie blöd und sie läuft lachend und wedelnd zwischen mir und der Tür
hin und her. Wenn ich nicht gleich schnell genug reagiere, fängt sie zu bellen an. Das letzte Gassigehen nachts um 11 ist
so kurz, dass es nicht mal reicht, um eine Zigarette zu rauchen. 3 Hunde gehen raus, 3 Hunde pinkeln, 3 Hunde gehen rein, fertig.
Sie beschwert sich auch, wenn der Wassernapf leer ist - bis ich da drauf gekommen bin ... hab mich nur gewundert, warum sie davor
so bellt *lach*.
Chica hat ein (inzwischen aber nur noch kleines) Problem damit, durch eine Tür zu gehen, wenn ein Mensch da steht. Raus
geht, rein geht gar nicht. Da muss ich mich immer noch hinter der Tür verstecken

. Aber manchmal rumpelt sie
auch einfach mit den 2 Großen mit und bemerkt gar nicht, dass ich auch da bin.
Anfang letzter Woche hat sie angefangen, die Ohren zu schütteln und zu kratzen, hauptsächlich das rechte. Ich hab
die Ohren dann ganz vorsichtig sauber gemacht und, weil sie ziemlich dreckig waren, 5 Tage lang mit Surolan behandelt (den TA
wollte ich ihr ersparen). Das ging erstaunlich gut, auch wenn sie ein etwas bedröppeltes Gesicht dazu gemacht hat. Aber wat
mut, dat mut, da muss sie durch, ich hab sie auch immer ganz doll gelobt. Und jetzt sind die Ohren auch wieder gut. Jeden Tag
üben wir Halsband an- und ausziehen, klappt auch schon ganz gut.
Chica steht total auf unseren bulgarischen Langhaar-Mix-Kater, den winselt sie immer an und versucht mit ihm zu spielen, was
ihr aber nur arrogante Blicke einbringt. Der würde sich NIEMALS dazu herablassen, mit einem HUND zu spielen

, pah. Immer öfter versucht
sie auch, MICH anzuspielen. Ich habe lange überlegt, wie ich das um-mich-rum-Gehüpfe und das leise Anbellen deuten
soll, aber ihre ganze Körpersprache (Gesicht, Lefzen, Ohren, Rute) sagt "spiel mit mir". Dann rennt sie auch mal
einem Ball hinterher oder einem "Baby"-Knotenseil. Holen kann ich das dann allerdings selber wieder!
Wenn sie im Garten ist, merkt man erst, wie viel Temperament Chica hat und wie ausgelassen sie sein kann. Sie dreht Runde
für Runde, dass das Gras und der Kies auf der Terrasse nur so spritzen. Dann sieht man ihr an, wie viel Lebenslust und
Lebensfreude in der kleinen Maus stecken, dann ist sie ein total fröhlicher Springinsfeld, der sein Leben in vollen
Zügen genießt. Ich hab versucht, das zu fotografieren, aber sie ist zu schnell und die Bilder immer verwackelt,
schade.
Wir hatten letzte Woche Besuch von einem Arbeitskollegen und seinen beiden Kindern (3 und 5 Jahre) und sie hat sich
tatsächlich von den Kindern streicheln lassen. Die Kinder waren sehr vorsichtig und sanft mit ihr und Chica hat es
"geduldet". Überhaupt wird jeder Besuch wedelnd, aber mit Sicherheitsabstand begrüßt, manchmal
auch vorsichtig (von hinten ;-)) beschnuppert. So lange man sie nicht direkt anschaut, geht sie sogar auf die Menschen zu. Wenn
ich sie mit hoher, schmalziger Säusel-Stimme anspreche, lacht sie, freut sich und wedelt wie verrückt. Gehe ich dann
auf sie zu, wird das Wedeln immer weniger, je näher ich komme, aber sie lässt sich anfassen und kraulen, was sie auch
zu genießen scheint.
Chica ist so unkompliziert in allem, außer mit den Menschen. Aber ich bin mir sicher, dass wir die Kleine noch
"hinbringen". Die Grundlagen dazu sind auf jeden Fall da, aber noch etwas versteckt. Alles, was sie braucht, ist Zeit
und Liebe und davon haben wir reichlich.
25. Mai 2012
Pflegestellenbericht
Heute war ja Chicas großer Tag - wir waren beim TA zum Blut nehmen. Sicherheitshalber haben wir Lary zur Verstärkung
mitgenommen. Chica war echt cool - naja, ziemlich jedenfalls
... Sie hat sich ganz brav untersuchen
und Blut nehmen lassen, hat weder gebrummt oder geschnappt oder gar panisch reagiert. Die Leckerlis wollte sie aber nicht von der
TÄ nehmen und raus aus der Praxis ging's wesentlich schneller als rein

.
Wir hatten nur die kurze Schleppleine (2,5 m) dabei und sobald die etwas auf Zug geht, legt Chica sich flach auf dem Boden und
bewegt sich keinen Zentimeter mehr. Allerdings kann man sie mittlerweile einfach vom Boden pflücken und hoch nehmen.
Wenn ihr neues Frauchen sich zutraut, weiter mit Chica zu arbeiten und ihr den letzten Leinenschliff beizubringen, denke ich, wir
könnten langsam den Umzug planen. Sie läuft schön an der langen Schleppleine und wenn's drauf ankommt, kann man sie
auch hoch nehmen. Sie lässt sich inzwischen fast immer anfassen, manchmal habe ich den Verdacht, sie lässt sich sogar
gerne anfassen ...
Chica liegt auch oft hier in der Küche, im Zentrum unseres Haushalts und man kann ohne Probleme 100mal an ihr vorbeigehen
oder um sie herum gehen.
Wegen der Hitze hat sie sich in unserem 'Dreckhaufen' eine Kuhle gebuddelt. Der Haufen besteht aus Muttererde und wartet schon seit
letztem Jahr darauf, im Garten verteilt zu werden. Im Herbst haben wir dann noch Geäst dort gelagert und ein paar Randsteine
für Beete. Bis zur großen Verteilung dient er nun den Igeln zum Überwintern, den Katzen zum Draufsitzen und den
Hunden zum Drinliegen. Sieht nicht besonders schön aus, aber den Tieren gefällt's

.
Chiquita hat sich in den Norden Deutschlands aufgemacht und ist in Bremen ansässig geworden.
Dort hat sie ein nettes Frauchen gefunden. Die Beiden sind ab sofort unzertrennlich.
Vermittelt im Juni 2012