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16. Mai 2012

Pincio

Wenn die Hoffnung stirbt

Pincio Seit er denken kann lebt Pincio in Tierheimen … oder besser in italienischen Anstalten, in denen man Hunde verwahrt. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in einer Institution, die in Deutschland traurige Berühmtheit unter der Bezeichnung "Hundehölle" erlangt hat. Er wurde dort vermutlich schon als Welpe eingeliefert und sollte sein Gehege nie mehr verlassen - zumindest wenn es nach den Betreibern dieser Anstalt gegangen wäre. Denn nur ein Hund, der dort lebt, fast nichts kostet und nie mehr weg kommt, ist für die kommerziellen italienischen Tierheimbetreiber ein guter Hund. Wären die Hunde wegen der katastrophalen Bedingungen in Pincios Hundehölle nicht auf behördliche Veranlassung konfisziert worden, wäre er dort wohl auch gestorben, ohne jemals eine streichelnde Hand erlebt zu haben.

Wer die Menschen waren, die den früher mal bildhübschen kleinen Kerl diesem Schicksal überlassen haben, wissen wir nicht. Es gibt keine Aufzeichnungen mehr aus der Zeit, deshalb ist sein Geburtsdatum auch nur geschätzt und zwar auf das Jahr 2004. Vermutlich ist Pincio aber sogar um einiges älter. Allerdings wissen wir, was er in all den Jahren durchgemacht hat. Seine heutige Pflegerin war dabei, als die Tiere befreit wurden.

Pincio Zusammengepfercht in komplett verdreckten Gehegen lebten dort weit über 400 Hunde auf engstem Raum, unter den Pfoten lag zentimeterdick ihr eigener Kot, in den Gängen türmte sich Müll und Gerümpel. Sie teilten sich das wenige Fressbare mit den Ratten, die zur Not sogar die Hunde anfraßen, die sich nicht mehr dagegen wehren konnten. Es gab keinen Schutz vor der heißen Sonne im Sommer oder den Schneeregenfällen des italienischen Winters. Raus kamen sie aus den Gehegen nie, Futter wurde ihnen vorgeschüttet, Wasser gab es nach Gutdünken, eine medizinische Versorgung existierte nicht. Die Hunde starben wie die Fliegen an Entkräftung, Stress, Krankheiten, Resignation oder sie wurden von stärkeren, aggressiveren Hunden beim Kampf um die wenigen Ressourcen einfach totgebissen.

Dass der kleine Pincio dies all die Jahre überlebt hat, zeugt von einer hohen sozialen Kompetenz und viel Intelligenz - sonst hätte er keine Chance gegen die größere und stärkere Konkurrenz gehabt. Und tatsächlich versteht er sich mit allen anderen Artgenossen prächtig und ist ihnen gegenüber genauso liebevoll freundlich wie zu Zweibeinern. Aber er hat nicht nur überlebt, er hat sich bei all dem Leid sogar einen ungetrübt fröhlichen Charakter bewahrt. Pincio liebt nach wie vor Menschen, geht immer noch feudestrahlend auf sie zu und genießt Streicheleinheiten über die Maßen. Er möchte am liebsten immer dabei sein, läuft hervorragend an der Leine, wenn er mitkommen darf und trollt sich trotz seines Alters gern noch hinter den Pflegern her, um immer mal wieder eine sanfte Hand auf dem Kopf zu spüren oder ein Leckerchen abzugreifen.


Pincio Dabei ist Pincio mittlerweile stocktaub, seine Augen machen nur gerade eben noch mit (deshalb schnappt er manchmal etwas vehement nach vermeintlichen Leckereien) und auch seinem übrigen Körper merkt man das Alter langsam an. Aber egal, bis vor kurzem hat der kleine Mann es sichtlich genossen, endlich zumindest in einem Tierheim leben zu dürfen, in dem man sich liebevoll um die Hunde kümmert. Und er hat versucht, all das nachzuholen, was ihm lange Jahre vorher verwehrt war. Doch seit einiger Zeit vollzieht sich mit Pincio eine Veränderung: Er gibt auf!

Vielleicht liegt es daran, dass mittlerweile drei seiner Gehegefreundinnen gestorben sind, eine weitere (Albinia) vermittelt wurde und er von der alten Garde der Letzte ist, der noch dableiben muss. Vielleicht findet er aber auch, dass er diesem Leben genug Liebe entgegen gebracht hat, ohne sie wirklich erwidert bekommen zu haben. Oder vielleicht läuft seine Sanduhr einfach ab - In letzter Zeit wirkt Pincio immer resignierter und irgendwie hilflos. Als ob er sagen wollte: "Ich hab doch alles gegeben - warum hat das Leben mich vergessen?"

Und gerade weil Pincio ein so liebenswerter kleiner Kerl ist, möchten wir nicht, dass er auf seine letzten Tage vergessen wird. Er soll nicht einsam in seinem Gehege sterben, ohne je ein liebevolles Zuhause kennen gelernt zu haben. Er soll wissen, wie sich ein weiches Bett anfühlt, wie lecker Futter schmecken kann (wenn es nicht gerade die harten Kroketten sind, die er tagtäglich bekommt), wie schön eine Blumenwiese am Morgen riecht oder sich das Wasser eines Bachs an den Pfoten anfühlt. Er soll das Gefühl erleben, geliebt und beschützt zu werden, sicher zu sein, im Winter den warmen Ofen genießen zu dürfen, endlich irgendwo dazu zu gehören. Wir wünschen uns für ihn nur ein klein wenig Entschädigung, für all das, was skrupellose Menschen ihm ein Leben lang vorenthalten haben. Aber ohne Ihre Hilfe schaffen wir das nicht.

Wir hoffen sehr, dass sich jemand in den kleinen Mann verliebt und ihm ein letztes Zuhause anbietet. Vielleicht findet sich aber auch niemand mehr, dann würde er sich auch sehr über Paten freuen, die ihm auf die Entfernung zeigen, dass sie ihn mögen und an ihn denken. Geben Sie ihm bitte das Gefühl, nicht allein auf dieser Welt zu sein - vergessen Sie ihn nicht!


Juni 2012:
Pincio hat in Bettina Noschylla eine Freundin in der Ferne gefunden, die ihm mit Paketüberraschungen zeigen möchte, dass er nicht vergessen ist.

Vielen Dank dafür!



Auch Pincio durfte das Tierheim endlich verlassen.
Er hat eine liebe Familie in Essen gefunden, die den kleinen Hundemann auf Händen trägt.


Vermittelt im Oktober 2012

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