März 2008
Was lange währt, wird endlich gut?
Auf Zucchero wurden wir durch einen unserer Tierärzte aufmerksam gemacht. Im Februar 2008 bat er Teresa, eine Lösung
für den Hund zu suchen, weil die Besitzer ihn erschießen wollten, nachdem der TA sich geweigert hatte, ihn
einzuschläfern. Zucchero sollte ein acht Monate alter, sehr lieber Rüde sein und unser TA hoffte, dass wir eine neue
Familie für ihn finden könnten.
Also fuhren wir zu Zuccheros Zuhause, einem kleinen Gehöft auf einer Hügelkuppe mit 360° Rundumblick, vor dem Haus
direkt auf die Adria, nach hinten auf die Abruzzen. Umgeben von Olivenhainen, Gemüsegärten und kleinen Ackerflächen,
die noch mit Kohl bebaut waren. Ein Traum für Menschen - für Zucchero ein Alptraum:
Ein jämmerliches Leben ...
Wir fanden ihn sofort, als wir auf den Hof fuhren. Er hing an einer lediglich einen Meter langen Kette, direkt an der Auffahrt,
festgebunden an einem Olivenbaum, dem das Geäst so gestutzt war, dass kaum mehr als der Stamm übrig blieb - voller Spuren eines
Hundes, der versucht hatte, sich zu davon befreien. Und der daran gescheitert war.
Vor Zucchero – gerade noch erreichbar – eine Wasser- und eine Futterschüssel. Sein einziges Spielzeug: eine angekaute, leere
Plastikflasche eines Kloreinigers. Keine Hütte, kein Schutz vor Regen, Sturm, Schnee, Sonne, Wind. Wir hatten an diesem Morgen
lausige +5°C, der Wind wehte heftig und bis vor wenigen Stunden hatte es tagelang geregnet. Uns war kalt - allein schon bei dem
Gedanken an sein jämmerliches Dasein.
Zucchero brachte sich fast um vor Freude, als er merkte, dass es um ihn ging. Er führte an seiner kurzen Kette einen wahren Tanz
auf, um uns dazu zu animieren, ihn zu streicheln und mit ihm zu spielen.
Schon auf den ersten Blick konnten wir sehen, dass es sich
um einen wunderhübschen, langfelligen, dunkel getigerten, knapp 60 cm großen Hütehund-Mix handelte. Er war in einem guten
Ernährungszustand und nicht ungepflegt. Und sein Charakter war so freundlich und lieb, wie ihn der TA beschrieben hatte. Zucchero
warf sich vor uns auf den Rücken (ans Spielen war wegen der kurzen Kette sowieso nicht zu denken) und wollte nichts mehr, als einfach
nur gestreichelt werden. Und er lachte vor Glück, als unsere Hände durch sein Fell fuhren.
Wir hatten uns noch nicht lange mit ihm beschäftigt, als sein Besitzer aus dem Haus kam. Ein netter Mann mittleren Alters, der auf
dem Gehöft zusammen mit seiner schwer kranken Mutter lebt. Ganz offensichtlich mochte er den Hund und hatte gar nicht vor, schlecht
zu ihm zu sein. Allerdings fehlte ihm auch jedes Bewusstsein dafür, was er dem Tier zumutete. Und dann erzählte er uns Zuccheros
Geschichte - dank Teresas Übersetzung konnten wir sie verfolgen:
... und wie es dazu kam
Angeschafft wurde der Hund auf Geheiß seiner Mutter, weil sie der Meinung war, dass ein Hof in einer solch einsamen Lage
unbedingt von einem Hund beschützt werden muss. Und weil sie Hunde liebt. Daher hat Zucchero auch seinen Namen: Süßer.
Allerdings ist die Mutter seit langen Jahren schwer krank und kann das Bett nicht verlassen. Aber was sie sagt, muss geschehen.
Der Welpe kam auf den Hof und anfangs ging auch alles gut. Er lebte zwar nur draußen, war aber immer in der Nähe des
Hauses und holte sich seine Streicheleinheiten ab, wenn jemand vor die Haustür trat. Aber aus dem Welpen wurde ein Junghund
und eines Tages kam der Nachbarhund vorbei und erzählte ihm, dass es etwas weiter weg noch sehr viele spannende Dinge gäbe,
die Zucchero alle noch nicht gesehen hatte. Und weil sein Leben so unendlich langweilig war, ging er mit dem anderen Rüden mit.
Die Ausflüge der beiden wurden immer länger und erreichten auch die Landstraße, die in der Nähe vorbeiführt.
Nun bekamen seine Menschen es mit der Angst zu tun, er würde einen Unfall verursachen und ketteten den Junghund an den Olivenbaum.
Aber sobald sein Herrchen ihn mal wieder laufen ließ – direkt gekümmert hat sich nie jemand richtig um ihn - war Zucchero
erneut verschwunden und eroberte die große, weite Welt.
Der Ärger wurde mehr, die Besitzer der umliegenden Hündinnen
beschwerten sich auch noch. Zudem war er mittlerweile so stürmisch, wenn er überhaupt einmal laufen durfte, dass er die
Menschen umwarf, sobald er sie ansprang. Zucchero wurde also gar nicht mehr von der Kette gelassen. Aber er rebellierte und es war
offensichtlich, dass er unter der Situation schwer litt.
Er wollte so gern Kontakt zu seinen Menschen und gestreichelt werden, aber es kam niemand. Er wollte spielen, aber keiner ließ
ihn laufen. Er wollte einfach nur ein liebevoller, junger Hund sein, aber er durfte nicht. Und so wurde sein Verhalten an der
Kette immer wilder.
Irgendwann entschied 'Mama' dann, dass der Hund weg müsse. Nicht, weil er nicht mehr gemocht wurde, aber
weil sie ihm die Qual eines Lebens an der Kette ersparen wollte. Und weil sie Angst davor hatte, dass er doch noch einen Unfall auf
der Landstraße verursachen würde. Der einzige Ausweg, den sie sahen, war, den Hund einschläfern zu lassen.
Glücklicherweise gingen sie mit diesem Wunsch zu einem unserer Tierärzte und der weigerte sich. Als man daraufhin
beschloss, Zucchero zu erschießen, rief er uns auf den Plan, damit wir den Hund dort wegholen sollten.
Der Schimmer am Horizont
Wir gingen mit dem Mann ins Haus, um die Mutter kennen zu lernen – trotz ihrer Bettlägrigkeit eine italienische 'Mama' und
Matriarchin, wie sie im Buche steht. Sie bestätigte, was ihr Sohn schon erzählt hatte. Auch bei ihr war die Zuneigung
zu dem Hund – den sie kaum jemals sah – deutlich zu spüren. Und auch ihr war nicht richtig klar, was sie dem Tier antat.
Wir waren ratlos. Eigentlich könnte Zucchero ein traumhaftes Leben auf diesem Hof führen. Platz ohne Ende, Menschen,
die ihn mögen - nur keine Vorstellung davon, wie man die Situation in den Griff bekommen könnte. Es gibt so viele
Hunde in Italien, deren Bedingungen wesentlich schlechter sind und die unsere Hilfe und einen Platz im Tierheim sehr viel nötiger
haben. Aber was tun?
Sehr lange haben wir mit ihnen gesprochen und nach einer Lösung gesucht. Und dann haben wir uns auf einen Plan geeinigt:
Als erstes würden wir eine Hundehütte aus dem Tierheim holen (die 1000ste vermutlich, die Charlotte in der Umgebung
schon an bedürftige Hunde verteilt hat) und Zucchero damit eine vernünftige Unterkunft schaffen.
Im gleichen Zuge würde er eine neue, lange Kette bekommen, damit er mehr Möglichkeit hat, sich die Beine zu vertreten,
solange er angebunden ist.
Der wichtigste Schritt aber würde sein, Zucchero kastrieren zu lassen.
Er soll dann noch einige Zeit angebunden gehalten und nur unter Kontrolle frei gelassen werden. Da sein Herrchen viel auf dem
Land arbeitet, ist das nicht so schwer zu bewerkstelligen. Er war auch gewillt dazu.
Schließlich und endlich würde seine Familie versuchen, ihn wieder ganz frei laufen zu lassen, in der Hoffnung, dass er
nach der Kastration wie früher am Haus bleibt.
... und Zuccheros Leben verändert sich
Gesagt - getan: Nachdem wir noch eine Runde mit dem überglücklichen Hund spazieren gegangen waren (während der er
sich auch ohne Leine nicht einmal 10 Meter weit von uns entfernte) ketteten wir ihn schweren Herzens wieder an seinen Baum und
fuhren los, um Zuccheros Leben zu verändern. Wenn nicht die Hoffnung gewesen wäre, dass er in Zukunft dort oben würde
glücklich leben können - keiner von uns hätte es übers Herz gebracht, ihn zurück zu lassen.
Als erstes suchten wir im Tierheim eine große, stabile Hundehütte aus, packten sie in den Bus und schafften sie zu ihrem
neuen Bestimmungsort. Mehrere Decken wurden auch gleich mit eingepackt, denn der fröhliche Kerl sollte ja weich liegen können
und zudem ein wenig 'Bettwäsche' zum Wechseln haben. Und natürlich ausreichend Spielzeug für die nächste Zeit –
die Kloreinigerflasche hatten wir als erstes entfernt. Das eine oder andere Leckerli fand auch noch seinen Weg in den Bus, unter
anderem ein großer Knochen.
Als wir wieder auf dem Hügel ankamen, hatte Zuccheros Herrchen bereits seinen Teil dazu beigetragen, das Leben des Hundes
erträglicher zu machen und eine lange Kette am Halsband festgemacht. Nun konnte er auch in den Schatten und Schutz der umliegenden
Bäume gelangen. Wir installierten gemeinsam die Hütte und man konnte dem Mann anmerken, dass sein schlechtes Gewissen danach
etwas erleichtert und er glücklich war, etwas Gutes für den Hund tun zu können.
Zucchero inspizierte gemeinsam mit seiner Katzenfreundin sofort das neue Domizil und zumindest die Mieze zog postwendend dort ein.
Der Hund selbst fand unsere Anwesenheit viel aufregender – vor allem die Tüte mit dem Spielzeug und den Leckereien. Als wir ihn
an diesem Tag verließen, blieb er glücklich und zufrieden mit dem riesigen Knochen zurück – ausgiebig gestreichelt,
gut ausgetobt und endlich mit einem Dach über dem Kopf.
Am nächsten Tag – der Tag vor unserer Abreise - fuhren wir wieder hin, beschäftigten uns mit dem Rüden und gingen wieder
mit ihm spazieren. Herrchen wanderte sogar ein Stück weit mit – man merkte ihm die Erleichterung über die Wende in der
Situation deutlich an. Zucchero freute sich seines Lebens über so viel Aufmerksamkeit und machte auch diesmal keinerlei Anstalten,
uns von der Seite zu weichen, obwohl er frei mitlief. Bevor wir wieder fuhren, besprachen wir nochmals ausführlich, wie es mit
dem jungen Rüden weitergehen und wann er kastriert werden solle.
Happy End auf Raten?
Als wir den kleinen Hof hinter uns ließen, waren wir zwar nicht rundherum glücklich, aber wir wussten, dass wir das
Richtige getan hatten. Zucchero dort einfach weg zu holen, wäre wohl möglich gewesen. Aber mit Sicherheit hätte
binnen kürzester Zeit der nächste junge Rüde an seiner Stelle an der Kette gehangen. Und im Endeffekt hätte
sich nichts geändert. Neuer Versuch, neuer Irrtum.
So aber hatten wir die Möglichkeit, den Menschen klar zu machen, was ein Hund für Bedürfnisse hat und wie sie ihm gerecht
werden können. Sie haben diese Hilfe gern angenommen.
Und wir sind wirklich guter Hoffnung, dass Zucchero nach der Kastration um einiges ruhiger wird, so dass er auf dem Hof in Zukunft
ein freies und schönes Leben wird leben können. Die besten Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Wir werden ihn auch
in Zukunft dort oben nicht allein lassen, sondern immer wieder nach ihm schauen.
Sollte er uns allerdings einen Strich durch die Rechnung machen und auch später wieder das Herumbutschern anfangen, dann haben
wir uns mit seinen Menschen darauf geeinigt, dass wir doch noch eine Familie für ihn suchen, die seiner Intelligenz und
Lernfreude gerecht wird und ihn sinnvoll zu beschäftigen weiß. Sterben wird er auf alle Fälle nicht müssen und
sein Leben wird auf die eine oder andere Art lebenswert werden. Das versprechen wir.
Und wir werden auf alle Fälle an dieser Stelle berichten, wie es mit Zucchero weiter geht ...
25. September 2008
Neues von Zucchero:
Wir haben Zucchero natürlich nicht aus den Augen verloren, Teresa hat für uns regelmäßig
Kontakt zu den Besitzern gehalten. Leider war die Entwicklung nicht so, wie wir sie erhofft hatten, aber
das lag nicht an Zucchero.
Da der Gesundheitszustand der Mutter von Zuccheros Besitzer sich im Laufe des Jahres drastisch verschlechtert
hat, war keine Zeit mehr da, sich um den Hund zu kümmern. Zucchero wurde nur noch an der Kette gehalten,
der Kastrationstermin immer wieder nach hinten verschoben, niemand kümmerte sich um ihn.
Schließlich kam die alte Dame ins Krankenhaus, woraufhin ihr Sohn auch kaum mehr auf dem Hof war, da
er fast permanent im Krankenhaus war.
Wir haben dann auf die Kastration gedrungen, die im Sommer auch endlich durchgeführt wurde. Aber der
Zug war zu diesem Zeitpunkt einfach schon abgefahren: Die Familie war mit der Doppelbelastung Krankenhaus
einerseits und Hof/Tiere andererseits völlig überfordert. Niemand beachtete den an der Kette
liegenden Hund, er bekam knapp Futter vorgestellt, freigelassen wurde er gar nicht mehr.
Zuccheros Zustand hat sich in dieser Zeit massiv verschlechtert. Sein Fell wurde glanzlos, matt und ohne
Farbe, die wunderschönen langen Haare an seiner Rute ausgefallen, sein Wesen war traurig und
resigniert. Der arme Kerl litt unendlich unter der Missachtung und fing an, sich aufzugeben.
Anfang September konnten wir seinen Zustand nicht länger mit ansehen und haben den Rüden ins Canile
geholt. Eigentlich ist uns das von den Gemeinden her nicht erlaubt, weil ein Hund, dessen Besitzer bekannt
ist, nicht im Tierheim sein darf. Aber für Zucchero war die Situation nicht länger vertretbar.
Nun wird er gepäppelt und fängt langsam wieder an, der Hund zu sein, den wir kannten. Seine
Frohnatur siegt zunehmend über die Resignation, er ist wieder der stürmische Liebhaber, den wir
Anfang des Jahres kennengelernt haben und der Glanz kehrt in sein Fell zurück. Es wird noch eine
Weile dauern, bis er wieder so schön ist, wie er mal war, aber die Weichen sind gestellt.
Da Zucchero offiziell gar nicht im Canile sein darf, werden wir ihn so schnell wie möglich nach
Deutschland holen. Seine Schicksals-Geschichte endet an dieser Stelle, aber wir hoffen, dass er nur einen
kurzen Übergang auf den Vermittlungsseiten hat und wir ihn bald im Happy End wiederfinden werden ...
5. November 2008
... und das hat tatsächlich geklappt,
Zucchero hat sich seinen Platz im Happy End geholt,
wir alle wünschen ihm viel Glück in seinem neuen Zuhause!
Wie es weiterging, lesen Sie im Happy End.